Die
Fährten bleiben noch lange sichtbar. Immer wieder müsse
er Wochen, ja Monate ohne Gedichte auskommen. So hat Rainer
Malkowski, der am 1. September im Alter von 63 Jahren im bayrischen
Brannenburg gestorben ist, einmal in einem kleinen Aufsatz
über das Schreiben formuliert. Auf die früher entstandenen
Werke blicke er in solchen Dürrezeiten zurück «wie
auf die Fussspuren eines fremden Wesens». Dann aber
gebe es jene Momente, in welchen sich die Wahrnehmung kaum
merklich verschiebe, und es setze wieder die «Kritzelsucht»
ein, schweifend zunächst und begleitet von einem sonderbaren
Gefühl in Magen oder Kehle. Bis sich die genauen Beobachtungen
irgendwann in Buchstaben verwandelt hätten, in die Tag-
und Nachtbilder des Schreibenden: «Was plötzlich
auf dem Papier stand, / schrieb mir der alte Dichter, / war
nicht viel länger / als mein kleiner Finger. / Aber ich
hatte mich beinahe / ganz darin untergebracht: / meinen zerschlissenen
Traum, / meine Unruhe, / meine Art, / die Menschen zu sehen.»
Beinahe ein halbes Leben hatte Rainer Malkowski schon in seinen
Versen untergebracht, als er 1975 die literarische Bühne
betrat. «Was für ein Morgen» - diese schmale
Sammlung zeigte den 1939 geborenen Autor gleich als jenen
Wahrnehmungsvirtuosen, der er all die Jahre über bleiben
sollte. Der Erfolg des Débuts mag ihn in dem Entschluss
bestärkt haben, seine Arbeit als Werbemanager aufzugeben
und fortan ganz dem Schreiben zu leben. Immerhin sieben Gedichtbände
folgten dem ersten Buch nach, dazu einige Anthologien und
Aufsätze. Mit der Alltagslyrik der siebziger Jahre haben
Malkowskis Verse wenig gemein, auch wenn es auf den ersten
Blick so scheinen mag, als stünden sie einer Melancholie
der Oberfläche nicht fern. Vielleicht in Gegenbewegung
zu den handlichen Formeln der Werbung stützt Malkowski
seine Sprache auf das genaue Sehen, inszeniert jene «Wahrnehmungen
/ aus den Augenwinkeln», die einen Hurrikan gleichermassen
erhaschen können wie den «an und ab- / schwellenden
Taumel / der Insekten».
Doch
der Blick, den die Verse zu kultivieren suchen, erweist sich
von Beginn an als geheimer Bruder der filigranen Reflexion.
«Kaum zu unterscheiden, ob genaues Sehen noch Sehen
ist oder schon ein Gedanke», hat
Malkowski zuletzt in seinen «Hinterkopfgeschichten»
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geschrieben, einer Sammlung kleiner, zwischen
Aphorismus und Augenblicksbild changierender Prosastücke,
die den schönen Titel «Im Dunkeln wird man schneller
betrunken» trägt. Tatsächlich sind die Gedichte
alles andere als bloss gereihte Beobachtungen. Rainer Malkowski
war ein Meister des freien Verses, wie kaum ein anderer verstand
er es, die Welt- und Sprachteilchen in seinen Gedichten auszubalancieren,
sie zu kleinen Denkbildern, zu Stillleben oder Vignetten zu
formen. Und stets ist dem Ton eine leichte, bisweilen ironische,
bisweilen skeptische Distanz zu den Dingen und Wörtern
anzumerken.
Wo die Distanz zu gross wird, schlägt sie gar um in zarte
Angst, davor zunächst, dass die Bilder eines Tages verblassen
könnten. Ein leises Schaudern und das Wissen um die Vergänglichkeit
sind diesen Versen eingeschrieben: «Solange wir nicht
denken, / sind wir unsinkbar. / Ein Schauermärchen, / dass
nur wenige Meter / unter der Oberfläche die grosse / Kälte
beginnt.» Je weiter das Schreibleben voranschreitet, desto
mehr gleicht der tägliche Blick auf den Kalender einem
«Kampf gegen den allmählichen / Tod». So wendet
sich das Auge noch stärker der Vergangenheit zu, und die
«Willkür der Erinnerung» hält den Gedächtnisraum
offen für jene Bilder, die einst haften bleiben wollten:
zersplitterte Fenster, ein Bleistiftstummel oder die «Kindheitssekunden,
/ als uns plötzlich ein Ball / die Treppe herab / entgegensprang».
Es sind der Schnee und die Luft, die Malkowski in seinen letzten
Gedichten umspielt hat. Und beseelt von solcher Leichtigkeit,
konnte er, der seit langem mit einer schweren Krankheit zu kämpfen
hatte, am Ende auch wunderbar genau über den Tod und die
Liebe schreiben. Seine Nachdichtung des «Armen Heinrich»,
die in diesem Frühjahr erschienen ist, zeigt noch einmal
Malkowskis grosse Kunst, das brüchige Leben in die Kontemplation
des Gedichtes zu überführen. Sein «Forscher
Fabre» wusste davon: «Etwas von der Ruhe / Fabres,
/ dem der Nachmittag verging / über der Beobachtung / einer
Sandwespe. // Auch Fabre wusste nicht, / was das ist: die Zeit.
/ Aber er ertrug es vielleicht / besser, / weil er so wenig
/ für sich selber brauchte. // Ein sehr beschäftigter
alter Mann / auf einem Stück Provenceerde. / Was die Mühe
lohnt, / konnte er / mit blossem Auge erkennen.»
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